Mit Schulranzen im Abflussrohr

 (26.03.2004)

zum Teil aus meinem Tagebuch, Erinnerungen und Lena
Der letzte Schultag vor den Osterferien. Nach Schulschluss bin ich (9) mit Lena (10), Lukas (15), Timo (9) und meiner Cousine Lena (9) mit den Fahrrädern durch die Gegend gefahren. Unseren Eltern hatten wir vorher bescheid gesagt, das wir noch ein wenig draußen bleiben.

An den Bahnschienen machten wir Halt und aßen unsere übrig gebliebenen Sachen, die wir mit zur Schule hatten. Lena bekam da ein Anruf und sollte mit ihren Bruder Lukas nach Hause kommen. Da waren wir nur noch zu dritt. Timo schoss immer Steine von der Bank weg und dann machte es Platsch. "Was war das denn?" fragte ich neugierig. Wir drei standen auf und sahen nach. Zwischen den Sträuchern und so war Wasser. Wohl vom letzten Regen oder so. Ich wollte dann wissen wo dieser kleine Fluss oder was das war hinführt und ging immer am Rand neben her.

Timo und Lena folgten mir. Als ich den Fluss, nenn ich jetzt mal so, nicht mehr sehen konnte, ging ich ein paar Schritte ins Gestrüpp. Ich stand dann plötzlich mit meinen braunen Lederstiefeln im Wasser. Zum Glück hatte ich da zwei paar Socken an und eine Leggins unter meiner Cordhose. Die beiden fanden das lustig und lachten. Ich ging einfach weiter und dann standen wir drei vor einem großen Rohr oder Tunnel, der unter die Gleise führte. Das Rohr war so groß, das wir drei dadurch gehen konnten. Erst wollten die beiden nicht, aber weil ich immer weiter reinging, kamen sie mir hinterher. Hell war es nicht wirklich da drin, aber ich lief immer weiter rein.

Timo bekam da Angst und ging zurück. Und obwohl es Lena in ihren Stiefeln, mit denen sie wie ich im Wasser stand, etwas kalt wurde, ging sie weiter. Dann wurde es plötzlich tiefer und ich stand bis zum Bauchnabel im Wasser. Ich schrie dabei und lachte dann. Lena hatte sich an meinem Schulranzen festgehalten und stand direkt hinter mir. Ebenfalls bis zum Bauchnabel im Wasser. Gesehen haben wir fast nichts, auch nicht mit unseren Handys. Telefonieren ging auch nicht, weil kein Empfang da war. Wir versuchten da wieder raus zu kommen, aber das klappte irgendwie nicht. Der Boden war einfach zu rutschig gewesen. Wir hatten da beide voll die Angst auf einmal.

Sie meckerte dann auch mit mir, weil sie jetzt mit ihrer Beinprothese im Wasser stand. Wusste ja nicht das es auf einmal so tief wird. Wir nahmen uns an die Hand und gingen weiter durch den Tunnel. Das Wasser wurde auch immer tiefer und unsere Blusen, Rollkragenpullis und dicken Steppjacken wurden immer nasser. Naja, jedenfalls hatte ich eine Bluse unter dem Pulli, ob sie es auch hatte wusste ich nicht. Die Schulranzen wurden natürlich auch immer nasser.

Dann hörten wir irgendwelche Geräusche, die uns richtig Angst machten. Wir standen bis zur Brust im Wasser und umarmten uns kräftig. "Mir ist kalt!" sagte sie dann und ich: "Mir auch!" Das Geräusch wurde immer leiser und dann fiel mir ein, das wir ja unter den Schienen waren. "Vielleicht war das grad nur ein Zug!" beruhigte ich sie dann. Wir liefen weiter Hand in Hand durch den Tunnel und dann mussten wir schwimmen, weil wir kein Boden mehr unter den Füßen hatten.

Mit ihrer Beinprothese konnte sie es nicht so wirklich und tauchte fast ab. Ich sagte ihr dann das sie ihren Schulranzen als Schwimmhilfe nehmen soll. Sie verstand erst nicht was ich wollte, aber nahm dann ihren Schulranzen ab und setzte ihn von vorne wieder auf. So ging es dann besser für sie und sie lachte auch ein wenig. Ich schwamm weiter und sie dicht hinter mir her. Wir redeten immer, damit wir uns nicht verlieren. Dann konnten wir endlich wieder laufen. "Wie weit ist es denn noch?" fragte sie mich. Ich hatte kein Plan. Mich wunderte nur das der Tunnel kein Ende nimmt. So viele Gleise waren da auch nicht gewesen.

Wir liefen bis zur Brust im Wasser immer weiter. Dann wurde es schlammig und wir kamen kaum vorwärts. Und dann wurde es auch noch immer enger und niedriger. Dann hörten wir Stimmen: "Hallo? Ist da jemand?" rief da jemand. Lena schrie gleich drauf los: "Ja, hier sind wir!" "Hallo?" schallte es wieder durch den Tunnel. Dann schrien wir beide um die Wette. Dann fragte uns jemand ob wir feststecken oder weiter kommen können. Wir schrien das wir weiter kommen und dann schrie derjenige das wir weiter mit ihm reden sollen damit wir seiner Stimme folgen können.

Dann endlich sahen wir Licht und schrien das wir was helles sehen. "Kriecht weiter, wenn ihr könnt!" rief der Mann. "Wieso sollen wir kriechen?" fragte mich Lena, aber ich wusste es nicht. Wir hatten so schon Probleme in dem Matsch weiter zu kommen. "Wieso kriechen?" schrie ich und der Mann sagte das wir einfach weiter sollen. Nach einigen Metern wussten wir was er damit meinte. Der Tunnel wurde immer niedriger und wir mussten in dem Matsch auf dem Bauch weiter. "Wir müssen unsere Schulranzen absetzen!" schrie ich zu dem Mann raus. "Schiebt sie vor euch her, wenn ihr könnt!" schrie meine Mutter dann auf einmal. "Ach du Scheiße, wer hat die denn her geholt!" dachte ich und schob mein Schulranzen vor mir her.

Lena faste immer meine Stiefel an, weil sie nicht weiter kam. Nach einiger Zeit griff jemand mein Schulranzen und nahm meine Hand. Hab mich da voll erschrocken und geschrien. "Nimm deine Brille ab!" sagte meine Mutter. Da fing ich an zu lachen und sagte: "Kein Wunder das ich nichts sehen konnte!" Meine Brille war völlig dreckig vom Matsch. Der Mann der da immer rief, war einer von der Feuerwehr.  Timo ist während wir da drin waren und ihm nicht antworteten nach Hause gefahren. Seine Mutter hat die Polizei und Feuerwehr gerufen. Die standen da auch alle und unsere Eltern. Völlig durchnässt und voller Matsch bekamen wir Decken umgehängt. Meine Mutter dann gleich: "Was macht ihr denn für ein Mist?" und noch so einiges mehr.

Lena und ich waren einfach nur froh endlich aus dem Loch zu sein und weinten auch. Nach einer kurzen Untersuchung im Krankenwagen, konnten wir nach Hause. Mama meckerte immer wieder und lachte aber auch. Zuhause sollte ich mich so dreckig und nass wie ich war in den Garten stellen. Kurze Zeit später kam Mama mit dem Gartenschlauch an und spritzte mich von oben bis unten nass. Auch mein dreckigen Schulranzen hat sie mit abgespritzt. Danach durfte ich mich mit der ganzen Kleidung und Schulranzen unter die Dusche stellen und anschließend baden. "Komm, dreh dich um!" sagte Mama da und wusch mir die Haare. Das ich da noch mein Schulranzen aufhatte, war ihr egal. Damit durfte ich mich anschließend auch wieder ins warme Wasser legen.

Als ich mich und den Schulranzen gewaschen hatte, die Bücher und so waren alle dreckig und nass, hab ich mir was frisches angezogen und bin ins Wohnzimmer. Weil mir da immer noch etwas kalt war, hat Mama mir eine Wolldecke über den Schoß gelegt. Sie wollte dann wissen warum wir das gemacht haben und so und ich erzählte ihr alles. Während ich ihr alles erzählte, durfte ich eine rauchen. Sie wuschelte mir ständig dabei durch die Haare, die ich mir gerade erst geföhnt und gekämmt hatte. Fand ich nicht so lustig. Sie machte mir dann was zu Essen und ich guckte in der Zeit Fernsehen. Nach dem Essen, weil es auch schon spät war, sollte ich ins Bett.

"Komm süße, ich erzähl dir noch eine Geschichte, dann schläfst du besser!" sagte sie, weil ich immer wieder vom Geschehen erzählte. "Aber meine Zigarette!" sagte ich. "Kannst gleich im Bett noch eine rauchen! Geh schon mal ins Bett, ich komm gleich!" sagte sie und ich ging in mein Zimmer und zog mir mein Pyjama an, legte mich ins Bett und machte mir eine Zigarette an. Kurze Zeit später kam Mama dann zu mir und stellte mir den Aschenbecher auf den Nachtschrank und erzählte mir während ich im liegen eine rauchte eine Geschichte. Nach der Geschichte gab sie mir ein Kuss auf die Stirn und ging mit dem Aschenbecher raus und knipste das Licht aus. Danach hab ich richtig gut gepennt.

Am nächsten Tag und die halben Ferien war ich damit beschäftigt meine Schulsachen wieder in Ordnung zu bringen. Das war vielleicht eine Quälerei. Also nochmal mache ich das bestimmt nicht.

Nach den Ferien hab ich Lena gefragt ob sie ärger wegen ihrer Beinprothese bekommen hat und so. Gut, ich hatte schon etwas durch Telefonate zwischen Mama und meiner Tante gehört, aber ich wollte es von ihr direkt wissen. Sie hatte mächtig ärger bekommen, nicht nur wegen der Prothese, sondern auch wegen der nassen und dreckigen Schulsachen und dem Handy. Sie musste drei oder vier mal mit der Prothese unter die Dusche. Die soll völlig dreckig gewesen sein, besonders die Gelenke und so. Sie ist teilweise mit der Zahnbürste dabei gewesen, um den Dreck da rauszubekommen. Von ihrem Orthopäden hat sie auch noch ärger bekommen. Der soll gemeckert haben wegen dem Lederschacht, weil der wohl rissig geworden ist. Ihre Schulsachen durfte sie zum Teil, wie ich auch, neu schreiben. Also die Hefte und Mappen. Die Bücher durfte sie im Waschbecken sauber machen und anschließend bügeln. Musste ich leider genauso machen. Nochmal würde sie das ganze nicht tun. Sie konnte auch mehrere Tage nicht richtig schlafen.

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