Challenge für Andriy

(10.01.2023)
Auf dem Schulhof lernte ich ein Ukrainer kennen. Er sagte mir auf gut Deutsch, das er mit anderen Mitschülern in einer Clique sein möchte und das er nach der Schule eine Challenge machen soll. Als ich ihn fragte was es für eine ist, wusste er es nicht. Nur das er gleich nach der Schule mit denen durch die Felder soll. Ich ahnte schon schlimmes und versprach ihm mitzukommen.

Die anderen bekamen es auch mit und schlugen mir vor, das ich mitmachen soll. Da ich weiß, das die Jungs immer wieder nur Blödsinn im Kopf haben, dachte ich mir dass es nicht verkehrt wäre Andriy beizustehen. Nach der Schule ging es auch gleich los. Ein paar haben noch unterwegs ihre Schulsachen nach Hause gebracht und ein paar von ihnen durften dann nicht mit. Ich (Laura, 13), Andriy (13) und die anderen Jungs und ein Mädchen sind mit unseren Rädern weiter und ab in die Felder.

Auf dem Weg wurde viel gelacht und gequatscht, das meiste hab ich nicht verstanden, weil es entweder eine andere Sprache war oder sogar eine Geheimsprache. Wir fuhren durch schlammige Wege, wo ich mit meinem Roller am besten durchkam und fuhren einen Weg rein in dem ich und meine Geschwister noch nicht waren. Den Tannenwald kannten wir zwar, aber da gewesen waren wir noch nicht. An dem Tannenwald machten wir Halt und die Jungs schmissen ihre Räder ins Gestrüpp. Schnell sah ich eine Art Badewanne neben einem Graben stehen und ahnte echt nichts gutes. "Der arme Junge!" dachte ich da noch und ging zur Wanne oder was das war.

Da wollten sie aber gar nicht hin, sondern in den Tannenwald. An einer Tanne stand eine Leiter aus alten dicken Ästen zusammengebaut und dort sollte Andriy rauf und weiter nach oben klettern. Fast oben in der Krone sollte er schaukeln bis er zum nächsten Baum kommt und dort wieder runter. Er weigerte sich es zu machen, weil er Höhenangst hat und wich immer aus. Die Jungs redeten voll auf ihn ein und verlangten immer wieder das er machen soll, wenn er dazu gehören will. Sie stritten sich halb und meckerten ihn immer an, was ich nicht gut fand und mich vor ihn gestellt hab. "Ihr habt doch gehört das er Höhenangst hat, jetzt hört mal auf hier!" "Der ist doch voll der Spinner, wir klettern überall und nirgends drauf, das muss so sein!" sagte einer.

"Lasst ihn doch was anderes machen!" schlug ich vor, aber das wollten sie nicht, weil sonst kann er nicht dazu gehören. Fand ich albern und sagte zu Andriy, das er gehen soll und das ich solange die anderen aufhalte. Sie schimpften mich aus und meinten, das ich eine dusselige fette Behinderte Kuh sei. Dazu machte ich nur laut: "Muh!" und lachte. Ich weiß es ja besser was ich bin, dachte ich noch. Andriy ging auch zu seinem Fahrrad und wollte gerade weg. "Ja okay, komm her, du kannst was anderes machen!" sagten die Jungs und er kam zurück. Ich war schon gespannt was er tun soll. Dann hieß es, dass er in die komische Wanne soll, damit er dazu gehören kann. "Boah, ihr seid ja fies!" sagte ich und guckte Andriy an, der wie immer gut gekleidet dastand und nicht wusste was er machen soll. "Nee sowas mach ich nicht, gibt es da nichts anderes?" fragte er etwas später. Die Jungs ließen aber nicht locker und feuerten ihn an. "Erst willst du Angst vorm klettern haben und jetzt das, was willst du eigentlich hier du Trollo!" schimpfte das Mädchen. Irgendwann, weil er dazu gehören wollte, stellte Andriy sich in die Wanne und die Jungs riefen lachend: "Setzen, setzen!" Das wollte er nicht und blieb da stehen. Seine guten Sneakers und die neue Jeanshose waren bis fast zum Schritt nass und er zitterte.

Ich verstand ihn gut und sagte das es doch reicht. Er hatte es immerhin getan was sie wollten. "Nein, er muss sich reinsetzen und seine Tasche nass machen!" riefen sie. Andriy machte es dann einfach und setzte sich hin. Nun saß er bis über der Brust mit seiner schönen und offenen dickeren Stoffjacke im Wasser und sein Schulranzen (ergobag) war bis zum Verschluss nass. "Geh schnell wieder raus!" flüsterte ich hinter ihm stehend zu, weil ich an seine Schulsachen dachte. Die Jungs klatschten und feuerten ihn an in den Graben zu gehen. "Muss das sein?" fragte er, aber die Jungs ließen wieder nicht locker. So musste er also in den Graben gehen und auch kurz schwimmen. Als Andriy völlig durchnässt den Graben verließ, lachten die anderen und meinten, das er jetzt besser zu mir passen würde, weil ich ja auf sowas stehe. Fand ich natürlich unmöglich von denen und meckerte sie an. Der Junge fing an zu heulen und schrie immer, das er dazu gehören will und das sie alle gemein sind. "Sowas macht man nicht mit ein neuen!" schrie er noch. Die anderen lachten aber nur und wiesen ihn ab. "Bekomme voll den Ärger!" und sowas schrie Andriy noch und ging heulend zu seinem Fahrrad. Er hatte gehofft, das die anderen ihn jetzt mit nach Hause nehmen und ihm beim trocknen helfen und dann mit ihm sich neue Dinge einfallen lassen, was sie machen könnten.

Da sie aber nichts anderes zu tun hatten als sich über ihn und mich lustig zu machen, schlug ich ihm vor, das ich ihn mit nach Hause nehme und ihm helfe. Das nahm er auch dankend an und fuhr los. Sie sagten mir wieder hinterher dass ich eine fette Behinderte Kuh sei, weil ich ihm helfe, und das ich bloß verschwinden soll. Da dachte ich nur, lass sie reden, hab auch schon öfters mal was gesagt was ich nicht so meinte und sagte wieder laut: "Muh!" Sie schmissen noch Stöcke und kleine Steine hinter uns her und ich schrie sie an, das sie verrückt und Blöd sind und damit aufhören sollen. Der Junge war schon weiter weg und ich stieg schnell auf mein E-Roller und folgte ihm. So schnell wie er fuhr, kam ich gar nicht hinterher und lachte immer wieder. Er hatte auch ein Sechszehn-Gang-Fahrrad und fror einfach zu stark und wollte schnell ins warme.

Während ich mit ihm zu mir nach Hause gefahren bin, waren die anderen noch dort geblieben. So sagte es mir Fran (14) am nächsten Tag, der sich auch bei mir und Andriy entschuldigte, das sie Steine und so hinter uns her geschmissen hatten. Sie haben sich aber trotzdem noch über ihn und mich lustig gemacht. Er meinte auch noch, das ich nicht ganz dicht im Kopf sei, mit Kleidung ins Wasser zu gehen und das ich aufpassen soll, das mich nicht der Hai frisst. Dazu konnte ich nur lachen und sagte, das er selber nicht ganz dicht ist, wenn er auf hohe Mauern klettert und kein Fangnetz drunter hat. Sie haben sich in dem Tannenwald noch neue Abenteuer einfallen lassen und nach neuen Herausforderungen gesucht.

Als wir bei mir ankamen und gleich ins Bad wollten, kam Jule (17) aus der Küche und fragte was wir machen. Ich erzählte es ihr kurz und sie meckerte mit mir, so von wegen das ich es doch hätte wissen müssen und das ich die Jungs davon abhalten hätte sollen. Ihm war es egal was sie sagt und stellte sich ohne Schulranzen unter die Dusche und spülte seine Klamotten ab. Jule verlangte dann noch, das er mit sein nassen Sachen so nach Hause soll und selber Klarkommen muss. "Komm du erstmal klar hier!" fauchte ich sie an und ging zu ihm ins Bad. Er heulte und hatte die Dusche auf seiner Jacke kleben.

Ich half ihm noch die Jacke und die Hose hinten sauber zu machen und holte ihm schnell trockene Sachen. Als ich wieder zu ihm kam, hatte er schon Schuhe, Hose und Jacke aus und guckte mich traurig an. "Das bekommen wir schon hin!" lächelte ich und steckte seine Klamotten in den Trockner. "Den rest kannst auch noch mit reinstecken und dein leeren Ranzen auch!" sagte ich ihm und ging raus. Jule meckerte mich gleich wieder an und ich meckerte zurück, das sie sich um ihren eigenen Scheiß kümmern soll. Immerhin hatte sie wieder ihre Ausbildung geschwänzt.

Etwa eine viertel Stunde später kam Andriy mit seinen Schulsachen aus dem Bad und guckte mich an. "Komm!" sagte ich und ging mit ihm nach oben in mein Zimmer. Wir unterhielten uns noch eine Weile über die anderen und kamen zum Ergebnis, das die Jungs nichts für ihn sind. Als er mich leise fragte, ob ich mit ihm befreundet sein will, grinste ich leicht und sagte zu. Warum denn auch nicht, kenne ihn zwar noch nicht, aber wer weiß. Nach fast zwei Stunden guckte er völlig erschrocken auf seine Armbanduhr und meckerte irgendwas auf seiner Sprache. "Was ist denn, ist die kaputt?" fragte ich. Er nickte mit dem Kopf und fing wieder an zu heulen.

Als ich ihn an mich ran zog und sagte, das alles gut wird, beruhigte er sich schnell wieder und wollte nach seiner Wäsche sehen. Sie war wieder trocken und auch sein ergobag war getrocknet. "Du bist so nett zu mir, wie kann ich alles gut machen?" fragte er mich und ich sagte: "Alles in Ordnung, helfe dir gern!" Er zog sich auch schnell um und steckte seine leicht nass gewordenen Schulsachen in den Rucksack und verabschiedete sich von mir. Kurz danach fuhr er vom Hof und ich winkte ihm hinterher. Irgendwie schon süß der Junge, mal sehen was aus unserer Freundschaft wird.

Am nächsten Tag kam er auf dem Schulhof auf mich zu und hielt mir eine Schachtel Merci hin. Er meinte da noch, dass er ohne mich völlig Hilflos gewesen wäre. Ich drückte ihn herzlich und sagte ihm, das er sich von ihnen fern halten soll. Er sagte mir auch noch, dass er zuhause Ärger bekommen hatte, nicht weil er bekleidet baden war, sondern wegen seinen feuchten Schulsachen. Fragte ihn natürlich gleich aus, was er damit meinte, nicht wegen dem schwimmen in Klamotten. Das würde er des öfteren mal "ausversehen" machen, sagte er mir. Melo (14) war nur am grinsen und sah mich schon mit ihm vor dem Altar, was ja nicht sein kann, weil ich Jan habe.

 

Zurück zur Hauptseite