An den alten Bahngleisen

(12.12.2022)
Nach der Schule wollten meine Vanessa (14) und ich (Laura, 13) zu den alten stillgelegten Gleisen fahren und etwas spazieren gehen. Melody (14) bekam es mit und wollte mit. "Klar, komm mit!" sagte ich freudestrahlend. Sie rief gleich ihre Mutter an und fragte ob sie mit kann. Die Mutter meinte wohl, das sie sich nicht so dreckig machen soll und auf dem Heimweg noch was einkaufen soll. "Geht klar!" sagte sie und nickte uns beiden zu. Die Mutter hat ein echt lautes Organ, manoman.

Weil bei mir niemand zuhause war, brauchte ich auch nicht anrufen oder so und fuhr mit den beiden gleich nach der Schule statt nach rechts zu uns, nach links. Ein paar mal haben wir uns verfahren bis wir die Gleise fanden, aber wir fanden sie. An einem dünnen Baum schlossen wir unsere Fahrräder an und gingen zu Fuß weiter. Es ging zu einem kleinen Graben runter, was die beiden auch gut meisterten, aber ich ging besser Rückwärts runter und hielt mich immer am Gestrüpp fest. Endlich war ich auch unten und wir konnten weiter. In dem kleinen Graben oder was das war, war nicht viel Wasser und wir liefen durch. Lag auch mehr Eis drin. Auf der anderen Seite, obwohl wir eigentlich auch über die Brücke mit dem Gleis hätten laufen können, ging es weiter.

Noch war es hell und wir sahen alles. Es ging über Felder und Wiesen und hin und wieder hörten wir Vögel zwitschern und Autos oder LKWs. Wir pfiffen fröhliche Lieder und gingen an dem Gleis immer weiter. Beim letzten mal war es nicht so verwuchert wie heute, aber wir kamen durch. Da soll ja mal ein Radweg bis nach Delmenhorst lang führen. Lukas würde es bestimmt sehr gut finden, weil ja seine alte Liebe dort wohnt und er dort auch ein paar Freunde hat. Meine wohnen ja mehr in Bremen als umzu. Irgendwo setzten wir uns und tranken eiskalte Cola und aßen unser letztes Pausenbrot auf. War ganz schön kalt, aber wir waren ja dick angezogen.

Weil es mir und Nanni doch später zu kalt wurde, tanzten wir beide wie blöd rum und fuchtelten immer mit unseren Armen um uns. "Ja macht mal, nicht das ihr gleich wieder Krank werdet!" lachte Melo erst und dann machte sie mit. Mit den Armen wedelnd spazierten wir den Weg wieder zurück und es wurde immer schneller dunkel. An einer kleinen Baumgruppe machten wir nochmal Halt, weil wir eine rauchen wollten. Nanni guckte mich sehr böse an und guckte auf mein Bauch. "Oh man, lass mich doch!" knurrte ich  und Melo so: "Sie hat da schon recht, solltest du besser lassen!" Ich: "Jo, besser is das!" und machte mir meine Zigarette an. Beide guckten mich komisch an und ich so: "Was denn, ihr habt doch gesagt ich soll die Zigarette besser nicht aus lassen!" Melo: "Du bist unverbesserlich!" Nanni: "Genauso liebe ich sie!" Ich grinste breit und nahm ein kräftigen Zug. Nanni: "So, mehr bekommst du heute aber nicht mehr!" und nahm mir die Zigarette weg. Ich: "Hab ja noch mehr!" Melo schnappte sie mir gleich aus der Hand und sagte: "Jetzt nicht mehr!" Nanni strahlte und sagte zu ihr: "Du gefällst mir immer mehr!" Ich: "Hey, geh mir nicht fremd!" "Ich doch nicht!" grinste Nanni und drückte mich an sich ran. Kurz küssten wir uns und dann ging es weiter.

Es war schon richtig dunkel geworden, aber wir sahen dank des freien Himmels noch den Weg. Pfeifend gingen wir drei Hand in Hand weiter und kamen wieder an diesen Graben. "Oben drüber oder unten durch?" fragte Melo. Nanni und ich zuckten mit der Schulter. "Hm!" kam von Melo und ging die Böschung runter. "Hm!" sagte auch ich und guckte Nanni an. Sie folgte Melo und dann kam ich. Die beiden waren schon unten und ich ärgerte mich über meine Beinprothese. Sie wollte wieder nicht so wie ich und dann knickte ich um. "Aaah!" schrie ich und stürzte die Böschung runter. Dabei fiel ich so blöd, dass meine Hand umknickte und ich noch mehr schrie. Die beiden dachten erst, dass ich so schreie weil ich mitten im Eiswasser auf dem Rücken lag. Naja, Wasser ist übertrieben, das war eher Matsch, mit Eisklumpen. Ich krümmte mich und hielt mir meine Hand fest. "Scheiße, die ist gebrochen man!" heulte ich. Blitzschnell hörten die beiden auf zu lachen und fragten, ob ich alleine da wieder raus komme. "Ja, irgendwie schon!" sagte ich mit zusammengekniffenen Zähnen, weil mir ganz schön kalt war in dem Matsch. Meine Finger froren auch volle Kanne, weil meine Handschuhe durch waren.

Irgendwie kam ich da auch raus, ohne das die beiden sich dreckig machen mussten, aber die Böschung kam ich nicht alleine wieder rauf. "Halt dich an mein Rucksack fest!" schlug Melo mir vor und Nanni schob mich von hinten. Wirklich leicht war das nicht gerade mit einer Hand und der blöden Prothese, aber zusammen schafften wir es. Endlich oben angekommen, es waren nur wenige Meter, liefen wir drei schnell zu den Fahrrädern und zum Arzt. Der erste ließ uns nicht rein, weil zu voll und der nächste war ein paar Kilometer weiter weg. Der ließ uns aber wenigstens rein. Im Labor guckte die Ärztin sich meine Hand an und drehte halb dran rum. Ich schielte sie voll an und biss mir auf die Zunge, damit ich nicht schrie. Mit großen Augen und Zunge zwischen den Zähnen und Zahnspange zeigend, guckte ich sie an und fragte: "Und?" Nanni und Melo, die mit rein durften, lachten halb und die Ärztin dann so: "Nichts gebrochen, sonst hättest du mehr geschrien! Ich pack dir aber trotzdem eine Schiene dran!" Halb schielend legte ich mich auf die Trage, während sie nach Verband suchte.

"Oh nein, was machst du Mädchen, du ruinierst mir hier ja alles, setz dich mal schnell wieder hin!" Mit gespitzten Mund setzte ich mich auch wieder hin und sie legte mir ein Verband an. Dann meinte sie plötzlich, das ich besser noch ins Krankenhaus soll, zum Röntgen. "Wieso, ich denk da ist nichts gebrochen?" sagte ich mit voll hoher Stimme und Nanni lachte laut los und versteckte sich hinter ihren Händen. Ich fand das gar nicht lustig und sagte ihr, das wir mit dem Fahrrad da sind. Sie meinte noch, das ich meine Hand ruhig halten und nicht so viel bewegen soll. Naja, irgendwie sind wir dann doch noch mit dem Rad zur Fähre und von da aus kurz mit dem Bus.

Im Krankenhaus: "Ach du meine Güte, was mit dir denn passiert?" Melo: "Sie hat sich in Graben gelegt und wollte das Eis brechen!" Nanni bekam sich wieder nicht ein vor lachen und die Ärztin oder was das war so: "Sowas machst du?" Obwohl ich Schmerzen hatte, musste ich lachen. Ich klärte sie auf und dann sollte ich zum Röntgen. "Puh, nichts gebrochen, nur verstaucht!" grinste ich als ich da wieder raus kam. Die Helferin packte mir trotzdem eine festere Schiene dran und band ein dickes Verband drum. Die Helferin: "So, bis Weihnachten wirst damit wohl noch zu tun haben! Oder auch länger!" Ich: "Länger?" und zog meine Stimme dabei richtig hoch. Sie lachte kurz und sagte, das ich zwei bis drei Wochen damit zu tun hab. "Wir schreiben nächste Woche eine Klausur!" sagte Melo und ich so: "Ähm, öhm, ähm, nö!" und guckte die Helferin mit großen Augen an. Sie erklärte mir dann, das ich die wohl nachschreiben muss, weil ich die Hand ruhig halten soll. "Na toll!" sagte ich und versuchte mich damit an der Nase zu kratzen. Melo: "Na, Popeln kannst ja noch!" Alles lachte und Nanni verschwand lieber nach draußen.

Nachdem wir uns da noch aus einem Automaten ein paar Hanutas und was zu trinken holten, verschwanden wir aus dem Krankenhaus und gingen zum Bus. Kaum saßen wir hinten drin, da erschreckte mich Mama, die den Bus fuhr. "Alles klar bei Euch dahinten?" Ich fasste mir voll ans Herz und sagte: "Poah, Mama!", holte tief Luft und ging mit Melo und Nanni nach vorne. Während sie los fuhr, erzählte ich ihr kurz was war und sie so: "Du machst ja Sachen, ruf ma Claudia an das die euch abholt!" Das machten wir auch und wurden von ihr an der Fähre abgeholt. Puh, daran hab ich überhaupt nicht mehr gedacht, das Mama da fahren könnte - Hab mich voll erschrocken! Melo ist bei der Fähre schon zu sich nach Hause hin abgebogen und Mama Claudia packte die Fahrräder von mir und Nanni ins Auto und dann ab nach Hause, wo ich mich endlich umziehen konnte.

Am nächsten Tag brauchte ich nicht zur Schule und ich schrieb dies Erlebnis mit einer Hand auf. Hat ganz schön gedauert, aber es ging wie ihr sehen könnt. Wirklich kalt war mir nicht in den dreckigen Sachen, weil sie auch eher dreckig als nass waren.

 

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